2015

PAD/ZfA
Rumänien

Internet in Rumänien?

Carlo Backes hat seinen zwölfmonatigen Freiwilligendienst 2015 am Colegiul Naţional Alexandru Papiu Ilarian in Siebenbürgen, Rumänien, verbracht.

Ja, es gibt Internet. Egal, ob man in der Hauptstadt Bukarest in der U-Bahn sitzt oder im letzten Dorf hinter den Karpaten den Bären auf der Spur ist – mobiles Internet hat man so ziemlich überall. Meistens sogar wesentlich schnelleres, als man es aus Deutschland gewöhnt ist.

Dies ist nur eines der vielen Vorurteile, auf die ich stieß, sobald ich von meinem Freiwilligendienst in Rumänien erzählt habe. Die Frage nach dem Internet, die mir kurz vor meinem Freiwilligenjahr auf einer Familienfeier gestellt wurde, ist mir aber noch lange im Kopf geblieben. Zunächst fand ich sie irgendwas zwischen lustig und naiv, später aber hat sie mich fast wütend gemacht. Wütend, weil es das so schöne und spannende Rumänien, das ich erleben durfte, auf eine so unbedachte Art und Weise reduziert hat.

Eine Stadt, drei Namen

Die Stadt, in der ich gelebt und gearbeitet habe, liegt mitten in Siebenbürgen und hat, wie fast alle Dörfer und Städte dort, gleich drei Namen. Neben dem rumänischen "Târgu Mures" das ungarische "Marosvásárhely" und das deutsche "Neumarkt am Mieresch". Allein das mag ein Indiz dafür sein, dass man es in Siebenbürgen nicht nur mit der "einen" Kultur zu tun hat. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie hier seit langer Zeit Rumän/innen, Ungar/innen, Roma/Romnija und Deutsche zusammen- und miteinander leben, im Alltag aber nur teilweise wirklich aufeinandertreffen und oft noch große Vorbehalte gegenüber den jeweils anderen kulturellen Gruppe herrschen.

Messingschild, dass die Entfernung nach Berlin anzeigt Colegiul Naţional Alexandru Papiu Ilarian: Die Einsatzstelle, in der Carlo sein FSJ geleistet hat Blick auf einen belebten Platz in Bukarest

Rammstein im Unterricht

Meine Schule, das "Colegiul Naţional Alexandru Papiu Ilarian", befindet sich in einem unglaublich schönen, alten Gebäude, das wohl früher ein Krankenhaus war, mich aber immer eher an Hogwarts erinnerte. Vergleichbar mit einem deutschen Gymnasium werden hier 5. bis 12. Klässler bis zum Schulabschluss unterrichtet, sodass sie danach an einer Universität studieren können. Neben Englisch und Französisch wird auch Deutsch unterrichtet, was mit der ehemals recht großen, heute nur noch überschaubaren deutschen Minderheit in Rumänien zusammenhängt. Es gibt Klassen, die Deutsch als Fremdsprache lernen und somit zwei- bis dreimal die Woche in den Genuss der deutschen Grammatik mit all ihren Ausnahmeregeln kommen. Außerdem gibt es, und das hat mich zunächst sehr überrascht, eine sogenannte Muttersprachler-Klasse. Hier werden Goethe und Schiller gepaukt, Aussprache und Intonation geübt und Gedichte verfasst. Die deutsche Sprache kann also doch populär sein!

Vor allem im Deutschunterricht konnte ich helfen und unterstützen, dabei hauptsächlich bei der Vorbereitung auf das deutsche Sprachdiplom – ein Zeugnis, mit dem man später in Deutschland studieren kann. Aber auch Vertretungsunterricht, kleine Projekte oder Kommunikationsstunden, in denen deutsche Musik und Filme angeschaut und besprochen wurden, konnte ich vorbereiten und anbieten. Das führte hin und wieder bei Lernenden und Lehrenden zu Verwirrung und Irritation, wenn ein 19-jähriger vor der Klasse stand und Rammstein abspielte, während die gegenübersitzenden Jugendlichen zum Teil sogar älter waren. Wie mache ich dem/der Lehrer/in mit Händen und Füßen klar, dass ich ein Freiwilliger aus Deutschland bin? Und was mache ich, wenn die Schüler/innen keine Lust auf gar nichts haben? Letztes Jahr saß ich doch an genau dem gleichen Platz, bloß ein paar Kilometer weiter westlich, und hatte auch nicht immer große Lust auf Unterricht.

"Es wird schon"

Die Schule endete oft früh, sodass ich nachmittags anderen Freiwilligen, die in derselben Stadt lebten, bei ihren sozialen Projekten helfen konnte. Das ging vom Deutschkurs in einem Jugendzentrum bis zum Nachmittagsprogramm in einem Kinderheim für Roma-Kinder, die aus schwierigeren Familiensituationen kamen. Lebensrealitäten, die mit denen der Schülerinnen und Schüler an meiner Einsatzstelle oft wenig gemein hatten – was mein Freiwilligenjahr nochmal um weitere wichtige Erlebnisse bereicherte.

Rumänien und seine Nachbarländer per Anhalter bereist, viele unterschiedliche Kulturen näher kennengelernt, eine Sprache versucht zu lernen, eine eigene Wohnung gesucht und gefunden, auf einmal Lehrer gewesen – all das und noch viel mehr in nur einem Jahr. Am allermeisten aber habe ich mich selbst kennengelernt, habe mich versucht, bin gescheitert, hatte Erfolg. Ich habe ein spannendes und wunderschönes Land für mich entdeckt und habe gelernt, dass man mit etwas Gelassenheit oft viel weiter kommt, als das ich es aus meiner Heimat gewöhnt war: "Nema problema, es wird schon".